DELI37

Ratten im Karni-Mata Tempel in Rajastan, Indien

Auszug aus der Länderdokumentation "Indien 151" von Andrea Glaubacker (ISBN 978-3-943176-02-5, weitere Informationen).

Ratten - Ein Herz für Nager

Tausende pilgern jährlich in den kleinen Ort Deshnok in Rajasthan, um den Rattentempel der Karni Mata, einer Reinkarnation der Göttin Durga, zu besuchen. Hinter der prachtvoll verzierten weißen Marmorfassade erschließt sich ein eigener Kosmos.

(c) Frank Blau

Eine Welt, die von 20.000 Ratten bewohnt wird. Im Dämmerlicht des Tempels funkeln überall kleine schwarze Augen. Aus flachen, silbernen Tabletts trinken die Nager Milch und auf dem Boden finden sich gelbe Spuren von Maisfutter, das hier eigens für die Tiere gekocht wird. Sogar vor Gefahr von oben sind die  Ratten geschützt. Der Innenhof ist mit einem Netz überspannt und schützt so vor Raubvögeln. Als besonders glückbringend gilt es, vom Prasad, den gesegneten Speisen, zu essen, nachdem eine Ratte daran genagt hat. Manch ein Gläubiger schiebt sich hier hoffnungsvoll den von Nagern gekosteten Maisbrei in den Mund.

Die Ratten von Deshnok sind derart heilig, dass ihnen nicht einmal der Pestausbruch in Surat in den 90er Jahren den Garaus machte, ganz im Gegenteil. Gläubige tranken Milch und Wasser aus dem Rattentempel als Medizin, ungeachtet der Tatsache, dass die Flöhe der Tiere als Überträger der tödlichen Krankheit gelten.

Der Rattentempel gründet sich auf die Legende der Karni Mata, die im 14. Jahrhundert in Deshnok gelebt haben soll und wegen ihrer übersinnlichen Fähigkeiten bereits zu Lebzeiten als Heilige verehrt wurde. Ein Fürst bat sie, seinen verstorbenen Sohn wiederzubeleben, worauf sich Karni in Trance versetzte und Kontakt mit dem Totengott Yami aufnahm. Dieser schlug ihr die Bitte ab, da sich die Seele des Jungen angeblich schon anderweitig wiedergeboren habe. Zornig schwor Karni, dass kein Angehöriger ihres Stammes mehr das Totenreich Yamis betreten würde, sondern die Seelen der Verstorbenen ab sofort als Ratten wiedergeboren würden. Als Folge von Karnis Zorn werden die Ratten bis heute geschützt, da sie die Seelen der Verstorbenen in sich tragen.

Religiöse Bedeutung kommt der Ratte auch als Reittier des Elefantengottes Ganesh zu. Hier verkörpert der Nager, dass in jedem noch so kleinen Lebewesen so viel göttliche Energie steckt, dass es sogar einen schweren Dickhäuter tragen kann. Als Reittier von Ganesh ist die Ratte heilig. Dies führte Ende des 19. Jahrhunderts dazu, dass die indische Bevölkerung eine Aktion der Briten zur Dezimierung der Ratten als Überträger der Beulenpest nicht unterstützte - immerhin handelte es sich um den Gefährten Ganeshs.

Indien 151

Portrait des faszinierenden Subkontinents in 151 Momentaufnahmen

Indien - die größte Demokratie der Erde, gigantisch, einzigartig und voller Gegensätze. Ein Land, das modernste Technologie entwickelt und zugleich in einem alten Traditionskorsett steckt. Wo Affen-, Elefanten- und mehrarmige Götter verehrt und Flüssen jeden Abend Millionen von Blumen geopfert werden. Wo gläserne Shopping-Malls wie Pilze aus dem Boden schießen und Mumbais Büromieten die von New York und Tokio überholen. Ist das Indien von heute ein modernes Land, ist es fest in alten Strukturen verankert oder liefert es schlicht immer alle möglichen Antworten zugleich?

Reisen Sie mit Andrea Glaubacker durch die Kultur und Gesellschaft dieses vielschichtigen Landes. Folgen Sie ihr auf den Straßen durch Städte und Dörfer, treffen Sie heilige Männer und blaue Götter, entdecken Sie Tempel, Hütten, Paläste und die Menschen des Landes. Am Ende werden Sie um 151 Einblicke reicher sein.

Mehr unter www.1-5-1.de/indien

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