GKIND14

Kunst und Literatur in Indien

Das Ramayana ist neben dem Mahabharata das zweite indische Nationalepos. Seine Entstehungszeit liegt zwischen dem 4. vor- und dem 2. nachchristlichen Jahrhundert. Verfasst sind die 24.000 Verse von Valmiki, der die Geschichte des Prinzen Rama, der schönen Sita und dem Affenkönig Hanuman erzählt. Rama heiratet Sita, die jedoch bald vom Dämonenkönig Ravana, der sich als Bettelmönch tarnt, entführt und in seinem Reich Sri Lanka festgehalten wird. Rama kann mit Hilfe von Hanuman Sitas Versteck ausfindig machen und sie nach einem langen Kampf mit Ravana befreien. Zurück in Indien kommen Rama jedoch Zweifel an der Treue seiner Gattin. So verbannt er sie in den Wald. Sita will ihre Unschuld beweisen und stellt sich der Feuerprobe. Sie steigt auf einen brennenden Scheiterhaufen, verbrennt aber nicht. Damit ist ihre Treue bewiesen. Mit dieser Geschichte endet die ursprüngliche Fassung Valmikis. In ihr ist Rama als Mensch dargestellt, der vorbildlich lebt. Erst in späteren Bearbeitungen wird Rama zu einer Inkarnation des Gottes Vishnu. Sita gilt als mustergültiges Beispiel für die Rolle der Frau als treue Gattin und fürsorgliche Mutter. Die TV-Ausstrahlung des Ramayana in mehreren Episoden wurde zum Blockbuster und machte die Inhalte einem breiten Publikum bewusst. Noch heute wird in Vorbereitung auf Diwali in vielen Dörfern und Städten eine Kurzversion des Ramayana als Theater inszeniert, dessen Höhepunkt der Sieg Ramas über den Dämonenfürsten Ravana ist, wobei dessen meterhohe Figur aus Pappe abgefackelt wird. Letztlich siegt, so die Botschaft, das Gute über das Böse.

Die Bhagavadgita, vermutlich im 4. bis 3. vorchristlichen Jahrhundert entstanden, gehört zu den zentralen heiligen Texten des Hinduismus. Die 18 Gesänge sind dem 6. Buch des großen indischen Epos Mahabharata entnommen, wurden aber schon früh als eigenständiges Werk betrachtet. Krishna, eine Inkarnation Vishnus wendet sich in der Figur des Wagenlenkers an den jungen Helden Arjuna, dem ein blutiger Kampf mit seinen Verwandten bevorsteht. Vor dem Kampf denkt Arjuna über den Sinn des Lebens, Tötens und Sterbens nach. Er stellt sich existenzielle Fragen, wobei ihm Krishna verschiedene Einsichten offenbart. In den Dialogen der Gita wird philosophische, religiöse und ethische Weisheit vermittelt. Neben der Pflicht zum selbstlosen Handeln, dem Befolgen des Dharma (rechte Ordnung) und der Forderung nach Wissen und Erkenntnis, sind die liebevolle Hingabe (Bhakti) und das rechte Vertrauen auf Gottes Liebe Thema. Viele große indische Denker haben die Gita kommentiert. Mahatma Gandhi bezeichnete sie als "allumfassende Mutter, deren Tür jedem, der anklopft, weit offensteht". Die Bhagavadgita ist für die meisten Hindus die Richtschnur ihres ethischen Handelns. Sri Chinmoy, einer der bekanntesten Lehrer spiritueller Weisheit, notiert zu Beginn seiner Einführung in die Gita: "Ich lese die Gita, weil sie das Auge Gottes ist. Ich singe die Gita, weil sie das Leben Gottes ist. Ich liebe die Gita, weil sie die Seele Gottes ist."

Zu den bekanntesten Stücken indischer Literatur gehört das Kamasutra, das jedoch weit mehr ist als eine Anleitung für Stellungen beim Geschlechtsverkehr. Vermutlich ist es in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. in Nordindien entstanden. Das Kamasutra ist ein Buch über die Lebenskunst, zu der auch genussvolle Sexualität gehört. Andere Themen, die behandelt werden, sind die Partnerwahl, der Machterhalt in der Ehe, Untreue und Ehebruch, der Bericht über das Leben als Kurtisane und mit einer Kurtisane. Es ist ein umfassendes Lehrbuch über Liebe und Sexualität, wobei es nicht das erste und auch nicht das letzte dieser literarischen Gattung ist. Auffallend ist, dass Frauen im Kamasutra als sexuelle Subjekte verstanden werden. Entgegen des im Westen vorherrschenden Bildes weiblicher Sexualität als Passivität, sind Frauen im Kamasutra als sexuelle Wesen mit eigenen Gefühlen und Emotionen dargestellt, die ein Mann lernen muss zu verstehen.

Für literarisches Aufsehen sorgte Arvind Adiga mit seinem Debutroman "Der Weiße Tiger". Darin erzählt er die Geschichte eines Mannes von ganz unten, der nach einer Kindheit in Elend und Armut, in die Stadt geht und schließlich Chauffeur bei reichen Leuten wird. Dort erfährt er die skrupellos-selbstverständlichen Spielregeln der Macht, Bestechung, Ausbeutung und ungerechten Vorteilsnahme. Er lernt auch, welchen Wert eine leere Whiskeyflasche hat. So inszeniert er eine Reifenpanne am Auto, bittet seinen Arbeitgeber auszusteigen und nützt diese Gelegenheit, um ihn mit der Whiskeyflasche zu ermorden. Alle Gesetze, die er sich von der Welt der Reichen und Einflussreichen abschaute, wendet er nun selbst an. Er klaut das Auto, behält den Koffer mit den Bestechungsgeldern und setzt sich ab, um eine neues Leben anzufangen. Genauso skrupellos wie seine Lehrmeister. Viele Angehörige der Oberschicht, die es gewöhnt sind, Personal zu haben, fragten nach der Lektüre, wie lange die selbstverständlich geglaubte Ordnung von Oben und Unten, Reich und Arm mit ihren strukturimmanenten Ungerechtigkeiten noch halten wird.

Empfehlen