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Vollständiges Interview mit Dr. Mitko Vassilev

Made in Germany ist in Bulgarien sehr beliebt

Ausführliches Interview mit Dr. Mitko Vassilev, Hauptgeschäftsführer der AHK Bulgarien

Was wissen die deutschen Unternehmer über Bulgarien nicht?

Wirft man als Ausländer einen Blick auf die Landeskarte, sieht man den großen Punkt, der die Hauptstadt Sofia im Westen Bulgariens, kennzeichnet. Bulgarien ist aber nicht unbedingt mit Sofia oder den Ferienorten am Schwarzen Meer gleichzusetzen. Aus wirtschaftlicher Sicht werden immer mehr Gebiete aufgrund der in den letzten Jahren modernisierten Infrastruktur für Investitionen und Handel attraktiv: Varna und Bourgas wegen der Häfen und Flughäfen, Rousse dank der Donau-Brücke und die zweitgrößte bulgarische Stadt Plovdiv als wichtiger Verkehrsknotenpunkt aufgrund der geografischen Lage und der Nähe zur süd-östlichen Grenze der Europäischen Union (EU). Mit der Eröffnung der zweiten Donau-Brücke bei Vidin-Kalafat erhofft sich das Land, der nordwestlichen Region einen Schub zu geben.

Bevor die deutschen Unternehmen den Schritt nach Bulgarien wagen, müssen sie sich über die Vor- und Nachteile Bulgariens ausführlich informieren. Unterstützung bietet die Deutsch-Bulgarische Industrie- und Handelskammer (AHK Bulgarien), die zum weltweiten Netz der deutschen AHK-Büros in etwa 85 Ländern gehört und mit den rund 80 Industrie- und Handelskammern (IHKs) in Deutschland vernetzt ist. Die AHK Bulgarien bietet sowohl deutschen als auch bulgarischen Unternehmen unter der Servicemarke DEinternational Dienstleistungen an, um den wirtschaftlichen Austausch zwischen Deutschland und Bulgarien zu fördern und konkret z.B. Geschäftspartner am bulgarischen Markt zu suchen und zu vermitteln.

Die direkten Eindrücke hier vor Ort sind ein maßgeblicher Faktor bei einer Investitions- bzw. Geschäftsentscheidung. Wichtig ist, nicht nur die allgemeinen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen kennenzulernen, sondern auch das Land mit seiner jahrhundertreichen Kultur und die Menschen mit ihrer Mentalität. Die deutschen Unternehmen wissen nicht, wie beliebt die Herkunftsbezeichnung "Made in Germany" und ausländische Arbeitgeber in Bulgarien sind. Die Bulgaren sind gegenüber den Deutschen, der deutschen Sprache und Kultur recht positiv eingestellt.

Als Geschäftsmann in Bulgarien lernt man viele Dinge später im Alltag, die einem das Leben leichter machen: die sehr gut ausgebaute Internet-Infrastruktur, den Service an Tankstellen, die Option, Parkgebühren per SMS zu zahlen.

Welche sind die Vorteile Bulgariens als Wirtschaftsstandort?

Die AHK Bulgarien beteiligt sich seit 2005 jedes Jahr an der Konjunkturumfrage der mittel- und osteuropäischen AHKs. Positiv bewertet wird von den Unternehmen z.B. die Steuerbelastung. Der niedrige Steuersatz von nur 10% für Körperschafts- und Einkommensteuer lässt zu, dass Investoren relativ schnell Kapital generieren können. Die Qualifikation und die Lernbereitschaft der einheimischen Arbeitnehmer werden von den Befragten auch hoch geschätzt. In Ergänzung dazu kann man hinzufügen, dass die Löhne und Gehälter ziemlich niedrig im Vergleich zum EU-Durchschnitt sind. Laut den Ergebnissen unserer Umfragen bereuen wenige Unternehmer, Bulgarien als Standort gewählt zu haben. 

Seit 2005 ist Bulgarien NATO-Mitglied und seit 2007 EU-Mitglied. Nach wie vor spielt die geopolitische Lage des Landes eine große Rolle für Investitions- und Geschäftsentscheidungen. Bulgarien war und ist eine Drehscheibe zwischen Ost und West, zwischen Europa und Asien. Für viele deutsche Geschäftsleute ist Bulgarien ein Sprungbrett nach Osten und nach Russland. Wichtig ist auch die unmittelbare Nähe zu Wachstumsregionen, wie die Türkei, Rumänien und Serbien.

Andere positive Aspekte, die das Land attraktiv für ausländische Geschäftspartner machen, sind z.B. das stabile Bankensystem, der Währungsrat seit 1997 (feste Bindung der nationalen Währung Lev zunächst an die DM und heutzutage an den Euro) sowie die Menschen allgemein als größtes Kapital des Landes.

Was sehen die deutschen Unternehmer in Bulgarien kritisch an?

In Anlehnung an die oben erwähnte Konjunkturumfrage sind die dringenden wirtschaftspolitischen Handlungsfelder in Bulgarien weiterhin die Reform der öffentlichen Verwaltung, die Verbesserung der Rechtssicherheit, die Beseitigung der Praxis der nicht transparenteren öffentlichen Ausschreibungen, die Erhöhung der Qualität der beruflichen und akademischen Ausbildung sowie die Bekämpfung der Korruption.

Die deutschen Unternehmer müssen sich aber im Klaren sein, dass Korruption kein typisch bulgarisches Phänomen ist. Im Unterschied zu Deutschland wird die Korruption in Bulgarien auch von den kleineren Unternehmen und von der Bevölkerung gespürt. Aufgrund des niedrigen Lohnniveaus in der öffentlichen Verwaltung in Bulgarien gibt es für die Korruption einen fruchtbaren Boden. Andererseits gibt es auch Beispiele für eine gute Zusammenarbeit zwischen deutschen Unternehmen und der bulgarischen Administration.

Was hat sich in der Geschäftskultur in Bulgarien seit der Wende geändert bzw. soll sich noch ändern?

Die Prinzipien der Planwirtschaft, langfristig nach festen unflexiblen Vorgaben zu arbeiten, wurden durch die Dynamik der Marktwirtschaft ersetzt. Diese ganze wirtschaftliche Umstrukturierung, der Zusammenhang zwischen Angebot und Nachfrage und die Orientierung an den Bedürfnissen der Kunden haben auch die Geschäftskultur geprägt.

Pünktlichkeit, Disziplin, Offenheit und Transparenz sind Eigenschaften, die sich die Bulgaren im Geschäftsalltag von den Partnern und der öffentlichen Verwaltung wünschen, sie halten sich jedoch oft selbst nicht an die Regeln.

Langfristig soll sich das Denken der Menschen von Ost nach West ändern und das betrifft nicht so sehr die junge, sondern die alte Generation.

Wie entwickeln sich die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Bulgarien?

Die recht hohe Anzahl von Firmen in Bulgarien mit Interesse am deutschen Markt und die Menge der Unternehmen mit deutschen Wurzeln spiegeln sich auch in den Wirtschaftsstatistiken nieder. Wenn wir über bilaterale Wirtschaftsbeziehungen reden, dann sind auf dem Radar sofort der Handel und die Investitionen. Das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern wuchs stetig seit der Wende und Jahr für Jahr wurden neue Rekorde aufgestellt. Eine Ausnahme war die Zeit der jüngsten weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise, aber im Jahr 2013 wurde ein Wert im bilateralen Außenhandel von über 5 Mrd. Euro erreicht. Deutschland ist nicht nur der wichtigste ausländische Absatzmarktmarkt für bulgarische Produkte, sondern auch ein strategischer Investor in Bulgarien. Deutsche Unternehmen, die sich in Bulgarien niedergelassen haben, die vor Ort produzieren und Arbeitsplätze schaffen, sind beispielsweise Liebherr, Aurubis, Festo, Lufthansa Technik, Knauf, Siemens, Pirin Tex, Steca, Würth u.a. Darüber hinaus sind auf dem bulgarischen Markt zahlreiche deutsche Firmen vertreten, die Produkte und Dienstleistungen verkaufen (Adidas, BASF, Bosch, BMW, Dr. Oetker, Lidl, Metro, SAP, Stihl, etc.).

Wie sehen die Bulgaren die Deutschen?

Die Deutschen gelten in den Augen der Bulgaren als effizient, diszipliniert, zuverlässig, leistungsorientiert, ordentlich, dafür aber gelegentlich als kalt, steif, humorlos, dominierend und zielstrebig um jeden Preis. Auf jeden Fall sind die Deutschen ein gutes Vorbild für die Bulgaren.

Natürlich gibt es diese regionalen und nationalen Nuancen in der Mentalität. Wenn man aber dazu noch die Unterscheidung z. B. nach Gesellschaftsschichten, Generationen und Geschlecht in Betracht zieht, erhält man ein an Menschentypen reiches Raster. Jeder Mensch ist individuell und für sich allein zu bewerten. Daher zum Schluss noch einmal meine Empfehlung: Machen Sie sich ein Bild von Bulgarien vor Ort! Wenn Sie Geschäfte mit den Bulgaren machen wollen, dann kann das nicht vom Schreibtisch aus erledigt werden.

Das Interview führte Nevena Dragostinova.

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